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Lars Dahms
Das permanente Grubenunglück


Unter allen häßlichen, einsamen und jämmerlichen Tieren gibt es eines, das heißt Beutelmull. Beutel, weil aus seinem Bauch eine alberne Felltüte wächst, und Mull, weil er in Momenten tiefster Verzweiflung leise vor sich hinmullt. Dieser Beutelmull ist in der Tat so häßlich, einsam und jämmerlich, daß man schon gar nicht mehr darüber lachen kann. Ich will ihn kurz beschreiben.
Der Beutelmull ist eine zwölf Zentimeter lange behaarte Walze mit vier Klauen unten dran, einem nackten Stummelschwanz hinten und einer verhornten Schnauze vorn. Er selbst behauptet, er habe auch Augen, aber zu sehen sind sie nicht. Die wenigen, die ihm begegnen, halten ihn von Ferne für eine abgeknipste Hasenpfote. Kommt man näher heran, vergräbt er sich. Er selbst sagt dazu, er sei halt sehr scheu, aber wahrscheinlich fürchtet er bloß, als Schlüsselanhänger zu enden.
Der Beutelmull ist, wie Vetter Maulwurf, ein Wühler und Graber. Er lebt in einer langweiligen, sandigen Gegend, die zu Recht weithin unbekannt ist. Dort wühlt und gräbt er. Der Beutelmull ist sehr langsam und sehr dumm. Er ist gerade so schnell, daß er beim Wühlen und Graben nicht von geologischen Umwälzungen überrascht wird, und er weiß gerade genug, um zu ahnen, daß alle anderen ihn für ein Stück Dreck halten. Das macht ihn sehr zurückhaltend.
Der Beutelmull gräbt und wühlt sich seine krummen, sandigen Stollen durch eine unattraktive Bodenschicht, die niemand ihm streitig machen will, weil sie jeden ernsthaften Wühler und Graber einfach unterfordert. Dort findet der Beutelmull ab und zu ohnmächtige Engerlinge oder bewußtlose Maden. Die kann er fangen, die frißt er auf. Hinter ihm stürzen die Stollen regelmäßig ein.
So lebt und so ist der Beutelmull. Viele sprechen ihm jede Daseinsberechtigung ab und treten auf ihn drauf, wenn sie ihn finden. Andere sind da nachdenklicher und sagen, es gäbe ja immer ein Tier, das die Schlußlaterne tragen müsse. Warum also nicht der Beutelmull?
Ich schließe mich dem an. Als Grottenolm weiß ich, wie dunkel es ganz unten ist. Möge sie lange leuchten, die rote Laterne, möge sie ihm den Pfad leuchten durch sein permanentes Grubenunglück. Lang lebe der Beutelmull.


Lars Dahms
Geboren 1965 in Hamburg. Nachtwächter, Kupferdrucker, Grafiker und Autor. Mitgründervater der Edition 406. 1997 foglio-Preis für junge Literatur, 1998 Hamburger Literaturförderpreis. Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien sowie Jörg – Die frühen Jahre, Comic, Edition 406, 1993, und (in einem Autorenkollektiv) Der P-Pinguin, Fotoroman, Eichborn, 2001.


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