Jürgen Noltensmeier
Ponal
Schulzke war, wie wir alle wissen, kein reicher
Mann. Kranführer sind nicht reich! Um den Mietzins
aufbringen zu können, vermietete er eines Tages
seine Besenkammer an einen Einwanderer aus Südamerika.
Der junge Mann hieß Egbert und war viele Jahre
Meßdiener in Patagonien gewesen. Jetzt strebte
er eine Karriere als Profi-Meßdiener in der
Hansestadt an.
Da Egbert keine Freunde fand und Schulzke
keine hatte, führte man das ein oder andere
Gespräch, zumal man sich sowieso die Küche
teilte. Und das Klo! Da man sich schon die Küche
teilte und das Klo, teilte man sich auch so manch
anderes. Zum Beispiel Elvira! An der schätzte
Egbert vor allem die ovale Gesichtsform und das
Schlüsselbein. Schulzke, der von Natur aus
animalischer veranlagt war, schätzte vor allem
ihren, wie er mal sagte, geilen Arsch. Elvira wußte
von all dem zum Glück nichts.
Wie dem auch sei; eines Tages hatte
Egbert Elvira zu einem gemeinsamen Essen eingeladen.
Kochen mußte natürlich Schulzke. Die
Vorspeise war eine phantastische Grießnockerlsuppe
nach Wiener Art, das Hauptgericht panierte Scholle
mit Salzkartoffeln, Meerrettichsoße und Seezungensalat.
Als Nachtisch gab es eine eigene Kreation von Egbert:
Apfelbrei mit Vanillesoße (kalt!).
"Das sieht ja aus wie Ponal",
sagte Schulzke. Egbert erzürnte, hielt seinen
Ärger jedoch im Zaum und sagte statt dessen,
daß man jetzt ja quitt sei.
"Wieso quitt?", fragte Schulzke.
"Nun", sagte Egbert, "schließlich
habe ich noch vor fünf Minuten behauptet, deine
Meerrettichsoße sehe aus wie Ponal!"
"Hast du gar nicht", sagte
Schulzke laut.
"Doch, hab ich!"
"Hast du nicht!"
"Doch!"
"Nein!"
"Ich glaube", sagte Elvira,
"du sagtest, die Meerrettichsoße sei
kolossal."
"Nein, sieht aus wie Ponal, sieht
aus wie Ponal!" Egbert schaute mit wutverzerrtem
Gesicht abwechselnd Schulzke und Elvira an.
Schulzke sah aus dem Fenster. Es war
zwar dunkel aber man konnte hören, daß
es regnete.
"Ponal, Ponal, Ponal", sagte
Schulzke mit einem leichten Grinsen im Gesicht vor
sich hin. Für einen Augenblick wurde es sehr
still in der kleinen Küche.
"Elvira, hab ich nicht gesagt,
die Grießnockerlsuppe sieht aus wie Ponal,
hab ich's nicht gesagt?", fragte Egbert.
"Egbert", sagte Elvira, "Die sah
nun wirklich nicht aus wie Ponal."
"Na und ? hab ich es nicht gesagt?"
"Nee, haste nicht, und außerdem
muß ich mal aufs Klo."
"Am Ende des Ganges links und gleich
wieder links", sagte Schulzke freundlich. Elvira
erhob sich und entschwand auf die Toilette.
"Das kann ja wohl nicht dein Ernst
sein", fauchte Egbert Schulzke leise an, "Ponal
ist mein Stichwort!"
"Wer sagt das?"
"Herr Gott, hab ich Elvira eingeladen
oder du?!"
"Wieso, du hattest doch genügend
Zeit, dir ihr Gesicht und ihr Schlüsselbein
anzusehen. Wenn du nichts dagegen hast, würde
ich mich jetzt ganz gerne mal um ihren Hintern kümmern,
und zwar alleine."
"Die Dolche der Freunde sind scharf",
seufzte Egbert.
"O.K., O.K.", sagte Schulzke, "ich
will keinen Streit, laß uns von vorne anfangen.
Wer zuerst Ponal sagt, hat gewonnen; aber bitte
in einem vernünftigen Zusammenhang. Grießnockerlsuppe
sieht einfach nicht aus wie Ponal. Das hat sogar
Elvira gewußt, und jetzt still, nichts anmerken
lassen, sie kommt zurück."
"Pooo, nal endlich", sagte
Egbert, als Elvira die Küche betrat. Schulzke
grub das Gesicht in seine Hände und zischte:
"Das zählt nicht!", aber Egbert ignorierte
ihn einfach und redete weiter: "Ist es nicht
wunderbar weich, unser Toilettenpapier, so richtig,
na, wie sagt man doch gleich, Ponal?"
"Arschloch", flüsterte
Schulzke, setzte ein falsches Lächeln auf,
schaute Elvira ganz ernst in die Augen und fragte
dann: "Elvira, hattest du schon mal Ponalverkehr?"
"Nun hör sich einer dieses
Ferkel an", schrie Egbert, und: "Ich rufe
gleich die Ponalizei", außerdem: "Solche
Ponalratten gehören eingesperrt!"
"Halbe, halbe", sagte Schulzke
Egbert anblickend, "eine Backe po Nalse?"
Jetzt hatte Elvira aber genug. Was war
eigentlich in die beiden gefahren? Sie stand auf
und wollte gerade gehen, als es an der Tür
klingelte. Schulzke und Egbert waren inzwischen
aufgesprungen und hatten sich gegenseitig am Kragen
gepackt.
"Ponal", "Ponal",
"Ponal", "Mir ist alles Ponal!",
schrien sie. Elvira, die ja sowieso gerade gehen
wollte, öffnete die Wohnungstür und vor
der stand nun ausgerechnet Dr. Corvus von nebenan.
Auf dem Arm hielt er eine Porzellankatze.
"Ponal, Ponal", tönte
es aus der Küche.
"Ich hab ihr den Schwanz abgebrochen",
sagte Dr. Corvus, "hamse wohl was Pattex?"
Jürgen Noltensmeier
Geboren 1965, lebt und arbeitet in Leipzig. Schriftsteller,
Maler und Popmusiker. Gründungsmitglied der
Liv-Ullmann-Show, der Lancaster Let Show, der Dinkie
Donkie Leseschau und anderer Literaturveranstaltungen.
Sein erster Roman »Geburtenstarke Jahrgänge«
ist bei KiWi erschienen. |