Klaus-Jürgen Kühner
Deutsch. Deutsch!
Horst T. aus A., der bekannte Schauspieler, ließ
sich, wenn er einmal dienstlich in Hamburg zu tun
hatte, was nicht sehr häufig, aber etwa zwei-
oder dreimal im Jahr vorkam, von dem diensthabenden
Chauffeur des Hamburger Katasteramtes in einem behördenblauen
Ford Scorpio zu den abbruchreifen Gebäuden
des ehemaligen deutsch-deutschen Grenzüberganges
Zarrentin fahren, eine Tour von etwa einer Stunde
pro Weg, sicherlich aber nicht länger als anderthalb
Stunden, mit einem Aufenthalt von etwa zehn Minuten,
insgesamt also maximal dreieinhalb Stunden, die
die Fahrt dauerte, die zwischen zwei Termine gelegt
wurde, richtiger: Immer, wenn Horst T. aus A., der
bekannte Schauspieler, dienstlich in Hamburg zu
tun hatte, wurden seine Termine so gelegt, daß
eine Grenzfahrt möglich war, da Horst T. sie
als unerläßlich empfand, und dies anfänglich
immer wieder ausführlich erläutert hatte,
dessen mittlerweile jedoch überdrüssig
geworden war, sich nun in Schweigen hüllte
und sich nicht mehr darüber ausließ,
und keiner der Chauffeure fragte noch danach, sie
vermieden so die eintretende Stille im Wagen, die
so bedrückend war, so kalt, daß kein
Gespräch wieder aufflammte, auch nicht während
der Rückfahrt; so unterhielt man sich meist
über die letzten Fernsehfilme des Horst T.,
in denen er einen Kommissar D. spielte, der seine
Fälle mit überlegenem Geschick, unter
gelegentlicher Mithilfe seiner beiden smarten, unterwürfigen
Assistenten H. und N. zu lösen vermochte, wobei
Horst T., der bekannte Schauspieler, jedoch niemals
ganz verbergen konnte, daß er früher,
in den sechziger und siebziger Jahren, ausschließlich
Bösewichte, Gangster und Verbrecher gespielt
hatte, aus Überzeugung wohl, und er eines Tages,
er konnte nie genau erklären, warum, er wußte
es tatsächlich selbst nicht, und er eines Tages,
als müsse er ein defizitäres Konto ausgleichen,
auf die andere Seite wechselte, fortan die Rolle
eines Polizeibeamten, des Kommissars D. eben, übernahm,
wobei er jedoch, wie erwähnt, nicht ganz verbergen
konnte, daß er seine schauspielerische Laufbahn
als Übeltäter begonnen hatte, was seine
heutige Rolle vielleicht sogar überzeugender
machte, und genau dazu befragten die katasteramtlichen
Chauffeure den bekannten Schauspieler Horst T. aus
A. während seiner Grenzfahrten, die zweimal
oder dreimal im Jahr stattfanden, über die
Horst T. aber keine Auskunft mehr geben wollte,
worüber sich die beamteten Fahrer auch nicht
erkundigten, damit kein Schweigen auftrat, besonders
während der langen Rückfahrt, denn immer,
wenn Horst T., der bekannte Schauspieler mit der
düsteren Vergangenheit, dienstlich in Hamburg
zu tun hatte, ließ er sich zu den grauen,
abbruchreifen Abfertigungsanlagen der ehemaligen
deutsch-deutschen Grenze fahren, in einem behördenblauen
Ford Scorpio, den der Chauffeur immer vor der Ampel
auf Spur Drei anhalten mußte, einer blinden
Ampel, deren Leben schon lange ausgehaucht war,
kein Rot mehr und kein Grün, immer noch mehr
Staub auf den Blenden, immer wieder die Beutestätte
von Spinnen, langjährige Spielwiese des Windes,
und sie stakte wie ein Blindenstock in den Betonruinen
der deutsch-deutschen Vergangenheit, vorsichtig
die inzwischen gewandelten Zeiten abtastend, klack,
klack, sie befühlte das Blech des behördenblauen
Ford Scorpio, Horst T. aus A., der bekannte Schauspieler,
kannte das schon, und deshalb verspannte sich jetzt
sein Gesicht, seine Hände verkrampften sich,
und er saß steif, leicht vorgebeugt, auf dem
Beifahrersitz, nervös seine Zehen bewegend,
klack, klack, er atmete ganz flach, beobachtete
nun, seine ohnehin hervorstehenden Augen, aus denen
das Weiße herausquoll, geweitet, entsetzt
jede Regung der Ampel, der Chauffeur drückte
seinen Körper tief in den Sitz hinein, damit
Horst T. an ihm vorbei auf die Ampel, klack, klack,
schauen konnte, die endlich grünes Licht zeigte,
Langsam weiterfahren, warf sich eine
zitternde Stimme in die Stille hinein, und zögerlich
rollte der Wagen, der behördenblaue Ford Scorpio
des Katasteramtes Hamburg, an, rollte sachte vorwärts,
die Kieselsteine wurden von dem Gummi der Reifen
knirschend beiseitegeschoben, Bahn frei für
Horst T. aus A., den bekannten Schauspieler, der
Wagen rollte vorwärts bis zur Schranke, dort
mußte der Chauffeur erneut anhalten, Oh
Gott, murmelte der bekannte Schauspieler Horst
T., unter dessen Händen sich auf dem Stoff
der Hose feuchte Stellen ausbildeten, die Schranke
nicht aus den Augen lassend, die den Weg versperrte
wie vorher die rote Ampel, in der Gabel leicht auf-
und abwippend, leise fiel der Motor, tock, tock,
in den Takt der Schranke ein, nur die Zehen sprinteten
voran, waren schneller, der Chauffeur angespannt
und gepreßt, er wagte kaum an das zu denken,
was kommen würde, er wartete auf ein Zeichen
des bekannten Schauspielers an seiner Seite, dessen
Mund sich alsbald öffnete, aber nichts weiter
als ein gequältes Ls! hervorbrachte,
eine Anordnung zur Weiterfahrt, und langsam kam
die Kupplung, der Kies knirschte, der Wagen glitt
weiter, vorbei an der geöffneten Schranke,
auf die flachen verglasten Gebäude zu, tock,
tock, auf Spur Drei, hinein in die enge, wagenbreite
Schneise zwischen ihnen, Lngsm! zischte
Horst T. aus A., der bekannte Schauspieler, als
der behördenblaue Ford Scorpio auf der Höhe
der vorderen Gebäudeecke war, der Chauffeur
trat die Kupplung, trat auf das Bremspedal, Horst
T. tropfte der Schweiß die Schläfen hinunter,
seine rechte Hand rutschte schleichend vom Oberschenkel,
der Chauffeur hielt den Atem an, er schloß
in Erwartung seine Augen, brachte den gleitenden
Wagen dann neben der gähnenden Öffnung,
die früher einmal eine Tür gewesen war,
zum Stillstand und wollte eben den Motor abschalten,
Nn! schrie Horst T. aus A., der bekannte
Schauspieler, mit panisch ausgewölbten Augen,
worauf der Fahrer erschreckt die Hand zurückzog,
die Lider zusammenpreßte und sich so verspannte,
daß seine Haut zu einem undurchdringlichen
Schild wurde, während die Zeit in alle Richtungen
zerfloß, alles hielt sich in der Schwebe,
tick, tick, machte der Motor, als Horst T. den elektrischen
Fensterheber an der Mittelkonsole betätigte
und sich das linke Fenster öffnete, woraufhin
der Chauffeur, der sich bereit hielt, einen leichten
Luftzug von der Seite her verspürte, jetzt
gleich, dachte er und blinzelte nach rechts, und
richtig: Der bekannte Schauspieler Horst T. aus
A., der mehrmals im Jahr von Hamburg aus Grenzfahrten
in einem behördenblauen Ford Scorpio zu den
ehemaligen deutsch-deutschen Grenzanlagen bei Zarrentin
unternahm, Horst T., früher einmal erfolgreicher
Filmbösewicht, jetzt Fernsehkommissar, hatte
bereits seine Pistole aus der rechten Jackentasche
gezogen und lag schwer zitternd und japsend über
den Schoß des Chauffeurs gebeugt und brüllte
mit einem Mal in Richtung des Grenzbeamten, der
gerade dabei war, die Durchreisepapiere zu sichten:
Und dies für euren sogenannten Kaffee!,
als führe er eine Liste, deren Positionen er
abhakte, wobei Horst T., der bekannte Schauspieler,
dem der Speichel aus den Mundwinkeln lief, im gleichen
Augenblick seine Waffe in Richtung des Zollbeamten,
der diese offensichtlich nicht bemerkt hatte, abfeuerte,
piusch, piusch, und: Daas habt ihr nun davon
schrie, während weitere Schüsse fielen,
piusch, piusch, und noch einer, piusch, der den
Zollbeamten endgültig niederstreckte, und plötzlich:
Gaaas! brüllte, was dem Chauffeur
galt, Gaaas!, und es machte piusch,
dann klick, der Motor röhrte auf, die Reifen
drehten durch, es roch nach verbranntem Gummi, Gaaas!,
klick, klick, endlich griff die Kupplung, der Chauffeur
schaltete in den zweiten Gang, in den dritten, klick,
klick, Gaaaaas! schrie Horst T. aus
A., der bekannte Schauspieler, wie immer in diesem
Stadium der Grenzfahrt, danach legte der Chauffeur
krachend den vierten Gang ein, klick, klick, während
Horst T. immer noch auf ihm lag, doch in der nun
folgenden, mit hoher Geschwindigkeit genommenen
Linkskurve fiel er für gewöhnlich, von
einem geröchelten, ersterbenden Gaas!
begleitet, auf seinen eigenen Sitz zurück,
über und über naß, Horst T., und
zitternd, der bekannte Schauspieler aus A., am ehemaligen
deutsch-deutschen Grenzübergang bei Zarrentin,
auf einer seiner Grenzfahrten in einem Hamburger
behördenblauen Ford Scorpio, Horst T., der
sich nach drei, vier Kilometern, zurück auf
der Autobahn Berlin Hamburg, für gewöhnlich
wieder beruhigt hatte und dem der Chauffeur dann,
als wäre nichts geschehen, Fragen stellte,
etwa zu seinen letzten Fernsehfilmen als Kommissar
D., der er, Horst T. aus A., der Schauspieler, bekanntlich
war, und die er interessiert vernahm und ganz ruhig
beantwortete.
Klaus-Jürgen
Kühner
Geboren 1958 in Kassel. Lebte 15 Jahre als Bundesbeamter.
Arbeitet seither als Kartowebgrafiker in Hamburg.
Begründete seinerzeit die Edition 406 und verlegte
langjährig. Sang einmal (1-mal) legendär.
Verschiedene kartographische Projekte, z. B. Profilwanderung
Deutschland. Textveröffentlichungen in Anthologien
der Edition 406 und im Hamburger Jahrbuch für
Literatur. |