Lars Dahms
Jägermeisterschaft
Ich ging los und erreichte den Wald und begann zu
schießen. So durchquerte ich den Wald. Ich
hörte auf zu schießen, als der Wald endete.
Ich drehte mich um. Ich betrachtete den Wald. Ich
hatte sehr viele Schüsse in diesem Wald abgegeben.
Es war ein kleiner Wald. Mein Kopf dröhnte.
Sonst war es still. Ich ging um den Wald herum zurück
ins Dorf. Als ich im Dorf ankam, war noch niemand
da. Alle hatten sich mit mir aufgemacht in den Wald,
um zu schießen. Ich war der erste Rückkehrer.
Ich setzte mich auf eine Bank auf der Festwiese
neben dem Löschteich und wartete. In der Ferne
hörte ich vereinzelte Schüsse. Später
kam ein Hirsch vom Wald her über die Festwiese
gelaufen, fiel in den Löschteich, strampelte
herum und ging dann unter. Kurz darauf erreichte
eine Rotte Wildsauen über dieselbe Route die
nämliche Festwiese und begann, von einigen
Hunden verfolgt, um den Löschteich herumzulaufen.
Die Hunde bellten und waren schneller. Nach der
dritten Teichumrundung packte der erste Hund die
letzte Sau. Jetzt wurde es laut. Dann wurde es leiser.
Die Sauen waren alle tot. Ich hörte wieder
Schüsse, diesmal näher. Ein Keiler kam
angerannt. Er hielt direkt auf die Hunde zu. Die
Hunde sprangen in den Löschteich, der Keiler
hinterher. Das Wasser brodelte. Dann wurde es still.
Ich stand auf und ging zu den toten Sauen. Ich schob
sie in den Teich. Dann wischte ich meine Hände
an der Festwiese sauber und setzte mich an meinen
alten Platz auf der Bank. Die Jäger kamen zurück.
Es waren sehr viele. An diesem Tag war jeder, der
gehen und schießen konnte, als Jäger
in den Wald gegangen. Die ganz Alten und die ganz
Jungen hatte man in die Dorfkirche gesteckt, wo
sie den Tag über zu bleiben hatten. Sie waren
immer noch darin. Sie würden die ganze Nacht
darin bleiben müssen. Am nächsten Morgen
würden sie herauskommen dürfen und die
Festwiese aufräumen sollen. Die Jäger
trugen eine Last. Sie kamen heran und legten sie
auf den Boden. Es war der Jägermeister des
letzten Jahres. Er war tot. Einige sagten: Der
alte Jägermeister ist tot. Andere nickten.
Dann ging jemand los und rollte ein Faß herbei.
Es wurde angezapft. Man holte Blechblasinstrumente
und Hörner und Schellen und begann zu spielen.
Es wurde getrunken, es wurde getanzt. Kurz vor der
Morgendämmerung hörte es auf. Jemand fragte:
Wer hat was erlegt? Einige holten Hasen
und Füchse und Dachse aus ihren Ranzen und
warfen sie hin. Andere traten hinzu, betrachteten
die Beute und lachten. Ich zeigte auf den Löschteich.
Er wurde gesiebt. Man fand einen Hirsch, sieben
Wildsauen, fünf Hunde und einen Keiler. Die
Tiere wurden untersucht. Es fanden sich keine Schußwunden.
Das zählt nicht, sagte man. Ich
nickte. Ich zeigte auf den alten Jägermeister.
Er wurde untersucht. Er trug eine Schußwunde
auf der Stirn. Man nickte. Einer fragte: Wer
wars? Alle schüttelten den Kopf.
Nur ich nicht. Ich war mir nicht sicher. So wurde
ich der neue Jägermeister.
Lars Dahms
Geboren 1965 in Hamburg. Nachtwächter, Kupferdrucker,
Grafiker und Autor. Mitgründervater der Edition
406. 1997 foglio-Preis für junge Literatur,
1998 Hamburger Literaturförderpreis. Veröffentlichungen
in Zeitschriften und Anthologien sowie Jörg
Die frühen Jahre, Comic, Edition 406,
1993, und (in einem Autorenkollektiv) Der P-Pinguin,
Fotoroman, Eichborn, 2001. |